Eine häufige Ursache für Fehler und Fehlurteile im Strafverfahren sind kognitive Verzerrungen der menschlichen Psyche. Diese wirken sich insbesondere im Ermittlungsverfahren systematisch aus und können zu gravierenden Fehlentscheidungen führen. Drei eng miteinander verbundene Phänomene spielen dabei eine zentrale Rolle: der Confirmation Bias, Inertia (auch Perseveranz genannt) und die kognitive Dissonanz.
Psychologische Grundlagen
Confirmation Bias
Informationen werden bevorzugt wahrgenommen und als bedeutsam eingestuft, wenn sie mit der eigenen Erwartungshaltung übereinstimmen.
Inertia/Perseveranz
Neu gewonnene Informationen, die eine bereits bestehende Annahme stützen, werden systematisch überschätzt. Gleichzeitig werden Hinweise, die diese Annahme widerlegen könnten, konsequent unterschätzt.
Kognitive Dissonanz
Dieser psychische Zustand entsteht, wenn eine Person widersprüchliche Gedanken, Überzeugungen oder Verhaltensweisen erlebt. Um das unangenehme Gefühl zu reduzieren, werden widersprüchliche Informationen oft verdrängt, ignoriert oder geleugnet. Alternativ werden weitere Informationen gesucht, die die ursprüngliche These stärken. Diese Phänomene verstärken sich gegenseitig und führen dazu, dass Widersprüche zu einer anfänglich gefassten These möglichst beseitigt oder verdrängt werden. Dieser Prozess verläuft jedoch nicht rational, sondern wird maßgeblich von den genannten Effekten beeinflusst. Das Ergebnis ist eine kognitive Verzerrung, durch die trotz klarer Gegenbeweise an einer ersten Hypothese festgehalten wird.
Auswirkungen auf das Ermittlungsverfahren
Im Ermittlungsverfahren sind diese psychologischen Effekte besonders kritisch, da sie dazu führen, dass bevorzugt nach Informationen gesucht wird, die die ursprüngliche These bestätigen oder verstärken. Entlastende oder alternative Beweise werden hingegen unterschätzt oder ignoriert. Eine frühzeitige Festlegung auf einen Verdächtigen kann daher schwerwiegende Folgen haben. Empirische Studien belegen, dass belastende Informationen stärker gesucht, wahrgenommen und gewichtet werden als entlastende oder widersprechende. Besonders problematisch ist, dass die Reihenfolge, in der Beweismittel bekannt werden, einen Einfluss hat: Werden zuerst belastende Umstände wahrgenommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Ermittler am Ende von der Täterschaft des Verdächtigen überzeugt sind. Darüber hinaus kann ein sogenannter Backfire-Effekt auftreten: Wird eine bestehende Überzeugung durch neue Informationen infrage gestellt, hält man umso stärker an ihr fest. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kognitive Verzerrungen bei polizeilichen Ermittlungen erhebliche Risiken bergen. Sie können zu systematischen Fehlern führen und damit Fehlurteile im Strafverfahren begünstigen.
Literatur/Quellen
- Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (552 f.).
- Dunkel/Kemme, Fehlurteile in Deutschland: eine Bilanz der empirischen Forschung seit fünf Jahrzehnten, NK 2016, 138, 149 f.
- Gerson, StraFo 2022, 338-344, S. 340ff.
- Singelnstein, StV 2016, 830 Confirmation Bias – Die Bestätigungsneigung als kognitive Verzerrung bei polizeilichen Ermittlungen im Strafverfahren.
- Wallace, The Effect of Confirmation Bias on Criminal Investigative Decision Making, S.117.