Wiederaufnahmeverfahren sind in der Praxis schwer durchzusetzen. Das liegt einerseits an den gesetzlichen Vorgaben, aber auch an dem mangelnden Bewusstsein dafür, dass es auch in Deutschland gravierende Fehlurteile gibt.
Wiederaufnahmegründe
Das Gesetz erlaubt eine Wiederaufnahme nur in klar umrissenen Ausnahmefällen, die in § 359 StPO (und § 79 BVerfGG) abschließend geregelt sind. Ermittlungsfehler, eine falsche Anwendung des Rechts, eine spätere Änderung der Rechtsprechung oder die unerkannte eingeschränkte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB gehören nicht dazu. Auch Amtspflichtverletzungen von Richter:innen sowie falsche Aussagen von Zeug:innen oder fehlerhafte Gutachten rechtfertigen nur dann eine Wiederaufnahme, wenn sie strafbar sind. Da die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit in diesen Fällen nur selten erfüllt sind, kommen diese Gründe in der Praxis kaum zum Tragen.
Der praxisrelevanteste Wiederaufnahmegrund steht in § 359 Nr. 5 StPO: Neue Tatsachen oder Beweise, die geeignet sind ein milderes Urteil oder einen Freispruch herbeizuführen.
Die Überwindung rechtlicher Hürden
Selbst wenn ein Wiederaufnahmegrund vorliegt, bedeutet das aber noch nicht, dass es zu einer neuen Hauptverhandlung kommt. Die Rechtsprechung hat in verschiedenen Konstellationen – etwa beim Widerruf eines Geständnisses oder bei nachträglich geänderten Aussagen – spezifische Anforderungen an die Begründung eines Wiederaufnahmeantrags entwickelt, die mitunter schwer zu erfüllen sind.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Eigentlich soll für die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens schon genügen, dass aufgrund der neuen Beweise ein günstigeres Urteil möglich erscheint. In der Praxis verlangen Gerichte jedoch fast völlige Gewissheit, was die Erfolgschancen zusätzlich mindert.
Damit wird deutlich: Die Wiederaufnahme ist ein wichtiges Korrektiv im Strafverfahren, stößt aber auf enge gesetzliche Grenzen und hohe Anforderungen der Rechtsprechung. In der Theorie eröffnet sie die Möglichkeit, Fehlurteile zu beseitigen, in der Praxis bleibt ihr Anwendungsbereich jedoch stark eingeschränkt.
Literatur/Quellen
- BGH, NJW 1977, 59.
- Arnemann, Defizite in der Wiederaufnahme in Strafsachen, 2019, S. 319.
- KMR-StPO/Eschelbach, 136. EL, 2025, vor § 359 Rn. 24.
- Krüger, ZSTW 2022, 561, 569.
- Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Auflage 2014, Rn. 1 f.
- Stern, NStZ 1993, S. 409.