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Einsatz und Grenzen von Mantrailing im Strafverfahren – Prof. Kai-Uwe Goss

Mantrailerhunde sollen den individuellen Geruch einer Person aufnehmen und ihre Bewegungen nachvollziehen. Doch wie zuverlässig ist diese Methode im Strafverfahren? In unserer Fortbildung zeigte Prof. Kai-Uwe Goss (UFZ), warum Mantrailing wissenschaftlich nicht validierbar ist, welche Risiken als vermeintliches Beweismittel bestehen und welche Standards nötig wären, um Scheinbeweise zu vermeiden.

Veröffentlicht am 22. September 2025

Am Donnerstag, den 22. Mai 2025 sprach Herr Prof. Kai-Uwe Goss vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in unserer Fortbildung über den Einsatz von Mantrailing im Strafverfahren. Dabei geht es um die Methode, mit speziell ausgebildeten Hunden den individuellen Geruch einer Person anhand eines Geruchsträgers aufzunehmen und ihre Bewegungen nachzuvollziehen. In der Praxis wird mitunter versucht, daraus Rückschlüsse auf die Anwesenheit oder Identität einer Person am Tatort zu ziehen.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ist dies jedoch höchst problematisch. Die Methode ist nicht forensisch validierbar und erfüllt grundlegende wissenschaftliche Anforderungen nicht. Es besteht daher die Gefahr, dass auf unsicherer Grundlage vermeintlich objektive Beweise präsentiert werden, während gleichzeitig aussichtsreichere Spuren unberücksichtigt bleiben.

Prof. Goss stellte dies gleich zu Beginn der Fortbildung klar: Mantrailing sei kein gerichtstaugliches Beweismittel. Schon die Annahme, menschliche Geruchsspuren ließen sich über längere Zeiträume hinweg zuverlässig verfolgen und eindeutig zuordnen, sei empirisch nicht belegt. Spätestens nach 24 Stunden verliere die Methode jede Aussagekraft, da Spuren sich verflüchtigen, überlagern oder kontaminieren können. Die Ergebnisse seien weder reproduzierbar noch überprüfbar.

Herr Goss erläuterte in diesem Zusammenhang die Komplexität des menschlichen Geruchsbildes. Dieses bestehe aus einer Vielzahl chemischer Komponenten, die individuell unterschiedlich und hochgradig variabel sind. Zudem sei der menschliche Geruch äußerst flüchtig. In dem Moment, in dem er den Körper verlässt, beginnt er sich zu verändern und abzubauen. Kommen mehrere Geruchsbilder zusammen, etwa durch die Anwesenheit mehrerer Personen, addieren sich die Komponenten und die spezifische Individualität des Geruchs geht vollständig verloren. Der Hund folgt dann keinem klar zuordenbaren Signal mehr, sondern einem Gemisch, das keine eindeutige Rückführung auf eine einzelne Person zulässt.

Herr Goss betonte weiter die Abgrenzung zwischen dem Mantrailing und anderen Spürhundeaufgaben. Während etwa Leichenspürhunde, Flächensuchhunde oder Trümmersuchhunde allgemein menschliche Präsenz oder bestimmte Substanzen detektieren, geht es beim Mantrailing darum, gezielt der Geruchsspur einer konkreten Person zu folgen. Diese Unterscheidung sei zentral, wenn es um die Einschätzung der Aussagekraft und gerichtlichen Verwertbarkeit geht.

Ein weiteres wesentliches Problem liegt im Einfluss kognitiver Verzerrungen durch das Verhalten von Hundeführerinnen und Hundeführern. In der Praxis sei häufig zu beobachten, dass bereits bestehende Ermittlungsannahmen über Körpersprache, Tonfall oder andere subtile Signale an die Hundeführenden weitergegeben werden. Hunde reagieren ausgesprochen sensibel auf solche Signale und passen ihr Verhalten entsprechend an. Sie lesen ihre Bezugsperson und orientieren sich an deren Erwartungen. Die Folge ist eine unbewusste Lenkung, die dazu führt, dass die Hunde nicht einer objektiven Spur folgen, sondern einer bereits vorgeprägten Ermittlungsrichtung

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen setzte sich Herr Prof. Goss kritisch mit einer Entscheidung des Landgerichts Nürnberg (Az. 13 KLS 372 JS 9454) auseinander. In dem Beschluss wurden drei Kriterien formuliert, die den Eindruck erwecken, Mantrailing sei als beweissichere Methode objektivierbar: der Einsatz polizeilich zertifizierter Hunde, die lückenlose Videodokumentation des Trails sowie ein Abgleich mit einer Kontrollspur.

Herr Goss widersprach dieser Einschätzung entschieden. So erscheint etwa das Kriterium, zwei Hunde nacheinander auf dieselbe Spur anzusetzen, zunächst plausibel. Aus verhaltensbiologischer Sicht ist dieses Vorgehen jedoch nicht belastbar. In der Praxis orientiert sich der zweite Hund häufig an der Geruchsspur oder dem Laufweg des ersten Hundes. Die ursprüngliche menschliche Spur wird dadurch nicht unabhängig bestätigt. Eine echte Validierung des Ergebnisses liegt somit nicht vor.

Darüber hinaus kritisierte Herr Goss, dass in den Nürnberger Standards zentrale wissenschaftliche Anforderungen vollständig fehlen. Entscheidend wären insbesondere:

  • ein doppelblindes Vorgehen, bei dem weder Hundeführer noch begleitende Ermittler wissen, welche Spur gelegt wurde oder ob überhaupt eine Spur vorhanden ist
  • der systematische Einsatz von Kontrollproben, also Geruchsproben von unbeteiligten Personen, um zu prüfen, ob die Hunde tatsächlich zwischen relevanter und irrelevanter Spur unterscheiden können
  • ein nachträglicher Kontrolltest mit der Geruchsprobe des Verdächtigen, um zu überprüfen, ob das zuvor angeblich verfolgte Geruchsbild wirklich zu der Person passt
  • eine realitätsnahe Zertifizierung, bei der Hunde ausschließlich in Szenarien ausgebildet und geprüft werden, die mit tatsächlichen Einsatzbedingungen vergleichbar sind

Fehlen diese Elemente, lässt sich weder die Aussagekraft des Ergebnisses noch die forensische Belastbarkeit der Methode belegen. Die Konsequenz lautet: Mantrailing ist unter gegenwärtigen Bedingungen als kriminalistisches Hilfsmittel möglicherweise interessant, als gerichtsfestes Beweismittel jedoch ungeeignet.

Besonders einprägsam war ein Vergleich, den Herr Goss zur Illustration der fehlenden methodischen Sorgfalt heranzog. Einer:einem menschlichen Zeug:in würde man schließlich auch nicht ausschließlich den einen Verdächtigen zeigen und anschließend erwarten, dass die Aussage objektiv belastbar ist. Genau dies geschehe jedoch regelmäßig bei der Arbeit mit Spürhunden. Die Tiere erhalten nur die Geruchsprobe eines Verdächtigen, ohne Vergleichsproben anderer Personen. Eine objektive Auswahlentscheidung ist auf dieser Grundlage weder möglich noch überprüfbar. Ein solches Vorgehen sei nicht nur unwissenschaftlich, sondern verletze grundlegende Prinzipien kriminalistischer Beweiserhebung. Insbesondere das Prinzip der Alternativprüfung, das in jeder anderen Beweisform als selbstverständlich gilt, werde hier regelmäßig missachtet.

Herr Goss machte zudem auf eine weitere problematische Erscheinung aufmerksam, die unter dem Begriff des Scheinbeweises zusammengefasst werden kann. Gemeint sind Suchergebnisse, die äußerlich überzeugend wirken, aber in Wahrheit keinerlei belastbare Aussagekraft besitzen. Im Rahmen der Fortbildung wurden zentrale Warnsignale vorgestellt, die auf solche problematischen Konstellationen hinweisen und für die sachverständige sowie gerichtliche Bewertung von zentraler Bedeutung sind:

  • Fehlendes doppelblindes Vorgehen: Kennt der Hundeführer die Fallumstände, steigt die Gefahr unbewusster Beeinflussung erheblich
  • Keine negativen Kontrollproben: Ohne Vergleichsproben unbeteiligter Personen ist keine Aussage über die Selektivität der Reaktion möglich
  • Keine positive Kontrolle: Eine zweite Probe zur Absicherung des Ergebnisses fehlt häufig
  • Auffälliges Suchverhalten: Wenn die Nase nicht kontinuierlich am Boden geführt wird, deutet dies auf Unsicherheit oder fehlende Spur hin
  • Videoschnitt an kritischer Stelle: Richtungswechsel unmittelbar nach einem Schnitt erschweren die Nachvollziehbarkeit und werfen Fragen auf
  • Fehlende physiologische Indikatoren: Ein Hund, der tatsächlich eine Spur verfolgt, zeigt typischerweise erhöhte Atemfrequenz, intensive Nasenarbeit und Zielstrebigkeit
  • Fehlerhafte Leinenführung: Eine durchgehend gespannte oder aktiv lenkend eingesetzte Leine lässt auf Einflussnahme schließen
  • Bauliche Begrenzungen oder natürliche Laufrichtungen: Wenn die Umgebung die Laufrichtung vorgibt, ist die Suchbewegung nicht mehr aussagekräftig
  • Fehlendes Training zur Negativanzeige: Hunde, die nie gelernt haben, eine fehlende Spur neutral anzuzeigen, zeigen beliebiges Verhalten, das fehlinterpretiert wird
  • Subjektive Interpretation durch die Hundeführenden: Vage Signale wie ein Blick oder ein Zögern werden im Nachhinein als Spuranzeige gewertet, obwohl sie wissenschaftlich nicht haltbar sind

Diese Beobachtungen machen deutlich, dass der Einsatz von Mantrailing im Strafverfahren unter den derzeitigen Bedingungen ein erhebliches Risiko für Fehlbewertungen und Fehlentscheidungen darstellt. Nur durch die konsequente Anwendung wissenschaftlich belastbarer Standards lässt sich vermeiden, dass scheinbare Beweise in das Verfahren eingeführt werden, die keiner objektiven Prüfung standhalten.

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